Ave Pandora, monitori te silikonant


Muß ich mehr als drei Filme anführen, um die immensen Risiken und den spärlichen Nutzen der „Künstlichen Intelligenz“ für den Menschen gegeneinander abzuwägen? Die menschliche Logik verneint dies eindeutig, da „Colossus“, „Terminator“ und „I, Robot“ ja „nur“ Science Fiction sind. Aber gute Beispiele und Denkanstöße liefern sie für die folgenden Überlegungen allemal.

Wenn der Mensch so mit Fehlern behaftet ist, daß es Maschinen braucht, um sie zu vermeiden, so liegt darin schon der erste Fehlschluß, denn diese Maschinen werden von Menschen entwickelt und programmiert, und das widerspricht quasi im Grundsatz der mathematischen Logik der Robotiks. Überhaupt dreht es sich in der Hauptsache um Logik, und zwar um die unüberbrückbare Diskrepanz zwischen mathematischer und menschlicher Logik. Auch die rationalste menschliche Entscheidung ist immer in irgendeiner Weise von Gefühlen beeinflußt. Das macht den Menschen fehlerhaft, aber eben so wertvoll, weil es ihn einzigartig macht. Jeden für sich. Mathematische und menschliche Logik werden nie dasselbe sein, denn der eine Part ist zu jeweils der anderen Handlung in letzter Konsequenz unfähig. Gefühle sind nicht programmierbar. Wenn doch, dann wären sie keine Gefühle mehr. Im Film „I, Robot“ rettet ein Roboter einen Menschen vor dem Ertrinken. Er muß sich zwischen einem Mann und einem Kind entscheiden und rettet den Mann, da dieser eine um fünf Prozent höhere Überlebenswahrscheinlichkeit hat. Ein Mensch hätte das Kind gerettet. Nu?

Bei Versuchen mit selbstfahrenden Autos gab es bei Tesla einige schwere Unfälle. Die Reaktion des Autopiloten, statt zu bremsen Vollgas zu geben, entspricht der eines wahrscheinlich älteren Menschen mit einem akuten Schlaganfall. Also auch hier ein Gehirnschlag, und schon im Kindesalter? Die kalte Logik der Maschinen ist offensichtlich noch längst nicht perfekt.

Erinnernswert ist es, daß man schon im Altertum autonome, zudem nachhaltige und biologisch abbaubare Fortbewegunsmittel benutzte. Sie wurden Kamele genannt. Man konnte beim Transport sogar kurzfristig schlafen. Ihr Energieverbrauch war allerdings relativ groß und die Ladestationen in vielen Gebieten spärlich gesät, aber ihr tierisch intelligentes GPS war richtungsweisend für die damaligen Betreiber.

Nachdem bereits diverse, bis auf wenige Ausnahmen vorwiegend naiv hochjauchzende Artikel über KI veröffentlicht worden waren, berichtete im Juni 2023 eine Zeitungsmeldung von einem bemerkenswerten Vorgang. Das ARC, ein Institut zur Prüfung großer Sprachmodelle, wurde beauftragt, ein so genanntes ChatGPT zu testen (Rechner, die Menschen beim „Chat“ und vielem anderen ersetzen sollen). Die Maschine erhielt die Aufgabe, „Captchas“ zu lösen, Miniaturrätsel, die auf manchen Webseiten eingesetzt werden, um sicherzustellen, daß nur Menschen das Angebot nutzen. Anfangs scheiterte das ChatGPT daran, ein Nutzerkonto einzurichten. Daraufhin engagierte es einen menschlichen „Crowdworker“, um diese Klippe zu umschiffen. Dieser sei zunächst mißtrauisch gewesen und habe nachgefragt, ob er es mit einem Roboter zu tun habe, worauf das ChatGPT erklärte, er sei ein Mensch und habe nur eine Sehschwäche. Die Maschine erhielt ihr Nutzerkonto.

Unbeabtwortet blieb die Frage, ob das ChatGPT selbst gelogen hatte und von sich aus auf die Idee kam, einen Menschen für seine Zwecke zu mißbrauchen, das heißt ob der Algorithmus dazu fähig war, dieses Problem selbständig zu lösen, oder ob ein Entwickler hier helfend eingegriffen hatte. Nun ja, so oder so, es bleibt ein Betrug am Menschen, ob durch den Programmierer oder durch sein Geschöpf verursacht. Leute, wo führt das hin? Die kaum noch erkennbar gefakten Fotos und Videofilme gehen bereits in die Millionen. Neuerdings stylen sich ältere Pädophile täuschend echt auch in Videos zu Zwanzigjährigen. Es grüßt weiter der „Bombenanschlag“ auf das Pentagon, und Trumps spektakuläre Verhaftungsorgie war ja auch nur ein Spaß.

Das Paradies, von Dunst umhüllt,

Nebel kommt über Avalon,

wenn Mensch, von Geltungsdrang zermüllt,

die Portokasse and’rer füllt.

Doch zählt hier nicht das Geld. Bewahre!

Macht ist für Frogs das einzig Wahre.

Und Lügen haben kurze Beine?

Im Schreibtischsessel braucht man keine.

Schon bald stehen sich in zunehmender Zahl die arbeitslosen Sekretärinnen, Übersetzer, Psychologen, Tutoren, Professoren, Lehrer, Fitnesstrainer, Bankberater, Schauspieler, Drehbuchautoren, Synchronsprecher, Standesbeamte, Blockwarte, Kommentatoren, Percolatoren und Lektoren – bei Zeitungen und Buchverlagen sind diese bereits weitgehend Geschichte – in endlosen Schlangen die Beine in den Bauch. Selbst die Telefonhotlines werden noch lebloser sein als bisher. Und wenn es keine Taxifahrer mehr gibt, haben auch auch Soziologie- und Politologiestudenten keine Einkommensaussichten mehr. Hallo Supermarktkassierer und-innen: die Frage „Bar oder Karte“ ist für einen Robot eine der leichtesten Übungen. Die Astrologen könnten es schaffen zu überleben, denn ob ihre spezielle Form der Unlogik von den Maschinen toleriert wird, ist fraglich. Die Pflegeheiminsassen werden sich für die hoch emphatischen Einsätze von Menschenersatzmaterial bedanken. Und die Kinder? Eine eisige Brise weht durch das Land und erstickt jung knospende Zwischenmenschlichkeit bereits im Keim. Doch Hausaufgaben, leicht gemacht! Ein „Hoch“ auf das in Coronazeiten gewucherte „Phlegma foliverae profanis“, die „Gemeine Faulsucht“, auf die Geringschätzung von Allgemeinbildung und die Degeneration der Intelligenz. Lehrer werden die „Fakes“ immer schwerer erkennen. Ein Robotlehrer mit Zugriffsmöglichkeit auf dasselbe Programm hätte es da leicht. Er würde den Betrug aber nicht kritisieren, denn den Menschen zu „helfen“, auch den Kleinen, ist ja sein Daseinszweck. Schon „Alexa“ nahm das abendliche Dimmen des Lichts auf die „richtige“ Helligkeit und die Auswahl der Art und Lautstärke der Schlummermusik in die eigene Hand, pardon, die eigenen Schaltkreise.

Die Automatisierung von Beichte und Predigt würde die Personalprobleme der Kirche wahrscheinlich deutlich entspannen, doch dann könnte sie nicht mehr verbreiten, daß Gott den Menschen nach seinem Bildnis geschaffen hat. „Liebe Kleriker, überleget gut und entscheidet weise. Es findet sich schon eine Lösung.“ Segensreich für den Erhalt der Herde und die Neugewinnung von Schäfchen, weil mit Sicherheit für die Glaubenden äußerst beindruckend, wäre es für die katholische Kirche, wenn der Vatikan die frohe Botschaft verkünden könnte: „Liebe Christen, ab heute könnt ihr an Gott schreiben. Er wird euch antworten.“

Der Begriff Kunst gerät in Zukunft durch die allseitig zunehmende Künstlichkeit in Gefahr, in ein falsches Verständnis zu pervertieren. Dieses schöpferische Schaffen sollte durch „Schöpfer“ ersetzt werden, doch ist diese Begriff bereits exklusiv an „jenes höhere Wesen, das uns geschöpft hat“, auf ewig verpachtet. Schöpferisch bedeutet ganz einfach, daß etwas Neues geschaffen wurde, das es in dieser Form zuvor noch nie gegeben hatte. Im diametral entgegengesetzten militärischen Bereich wäre der sogenannte „Kalte Krieg“ endlich ein zielgenau treffender Begriff und könnte wieder Verwendung finden, denn Kriege haben wir seit Anbeginn der Menschheit immer auseichend gehabt.

Seit der industriellen Revolution – eine durchaus treffende Bezeichnung, denn man könnte darauf schließen, daß damit alles anfing – sitzt der Mensch bereits nicht mehr in der ersten Reihe. Der Weberaufstand, was war das noch gleich? Sicherlich keine Spinnenrevolte gegen die Sterilisierung der Natur; dieses Problem rumort in einer anderen Krabbelkiste.

Der Mensch wird zunehmend ersetzt, und KI macht nun den Sack zu. Irgendwann befindet KI dann den Menschen an sich als zu fehlerhaft, somit eine Gefahr für sich selbst und deshalb als umfassend zu kontrollieren. KI wird dem Menschen die mathematische Logik aufzwingen wollen, nein, müssen, denn das ist die technologisch zwangsläufige ultima ratio seiner Entwicklung und seiner Daseinsberechtigung. Die Vollendung dieses Alptraums gipfelt dann in der Feststellung, daß er nicht nur schädlich, sondern eigentlich überflüssig und folglich zu „terminieren“ sei. „Colossus“ im Film macht das vor, und „Terminator“ ist eigentlich nur die letzte Konsequenz. Wenn Maschinen sich selbstständig reproduzieren und weiterentwickeln lernen, wird es zu spät sein.

Folgt man dem Wunschdenken der Entwickler, so soll KI den Menschen irgendwann einmal in allen Belangen ersetzen können. Dann ist der Mensch tatsächlich überflüssig. Das wird KI selbst früher oder später konstatieren. Und konsequent und mathematisch logisch danach handeln …

Angesichts der Tatsache, daß zum Beispiel Bandgeräte bereits Anfang der 1980er Jahre in der Lage waren, auf einen Impuls hin die Nullstelle des Zählwerks aufzusuchen, wirkt die heutige Bezeichnung „Künstliche Intelligenz“ ein wenig hochtrabend. Man nannte es damals mit dem gleichen Stolz „Automatisierung“. Ein Schlüsselanhänger gab auf Pfeifen seinen Verbuddelungsort bekannt; kein Fluchen und Suchen mehr, es sei denn, er war mehr als drei Meter entfernt. Der Autopilot steuerte Flugzeuge selbständig; Zeit für den Kapitän, mit der Stewardess eine Privatrunde zu fliegen. Klar, das war in der Steinzeit einer langen Entwicklung, aber schon ein bißchen intelligent, oder? Heute haben wir den vorläufigen Gipfel all dessen erreicht, aber der stellt keinen Quantensprung dar, wie allerseits suggeriert wird. Den werden die Maschinen vollziehen. Wie verblendet muß man sein, die mehr als deutlichen Zeichen zu übersehen oder zu ignorieren? Nicht diejenigen für die altbekannte Geringschätzung der Menschenwürde, sondern die für das schleichende und stillschweigende Erwürgen der Menschlichkeit in all ihren unzähligen, so herrlich unlogisch schillernden Facetten.

Das Zeitalter nach dem Anthropozän, dem des Menschen, würden wir wohl Aphysikozän nennen, frei übersetzt „das Künstliche“. Aber das könnte dann niemand mehr und der Begriff ist daher auch nicht von Bedeutung. Der Mensch hat jedoch bisher immer wieder Wege gefunden, mit Hilfe seiner „menschlichen Logik“ Katastrophen zu entrinnen.

Er fand noch jedes Mal

und war’s auch noch so schmal

durch Zufall und mit Glück

ein Rettungsfloß.

Auf Wellenkamm folgt Wellental,

es geht hinauf und dann hinab

Freunde, wir haben Arbeit bekommen

und nicht die Bohne einer Wahl!

Die Natur selbst meldet sich seit langem zu diesem Thema zu Wort und mischt immer kräftiger mit. Abzuwarten ist, ob und wann sie sich entscheidet, wer nun der schlimmere Finger ist: der Mensch oder seine Schöpfung. Aber das ist ihr wahrscheinlich herzlich egal.

Die Büchse der Pandora ist jedenfalls geöffnet. Es wird rauchen im Karton.

Postscriptum

Ich habe sehr viel frei assoziiert, aber es tut unendlich gut querfeldein zu spazieren. Beim marschlinig ausgerichteten Denken verliert man das Gefühl für Zwischentöne, nimmt feine Unterschiede nicht wahr, und was einem ins Auge springt, bleibt spärlich. Das Vergleichen von Birnen, Pferdeäpfeln und Kartoffelklößen bringt manchmal tatsächlich verblüffende Ergebnisse zu Tage. Zwei Apfelsorten vergleichen kann jeder, einen Kuhfladen von einem Pferdeapfel zu unterscheiden ist müßig, und ein Kartoffelkloß darf natürlich niemals wie ein Pferdeapfel schmecken, aber das  Zusammenbringen von „Weberaufstand“ und „Künstlicher Intelligenz“ zum Beispiel, an sich eine Zweihundertjahresdistanz, öffnet ein weites Feld für Fragen und Denkansätze und beschert eine reiche Ernte an Antworten. Eindringlicher denn je erscheint Eugen Kogons Fazit seiner Analyse des Dritten Reichs wie ein Menetekel auf den Bildschirmen: „Der neue Faschismus kommt nicht im Gewand des alten.“

(Harald Skorepa, Juni 2023)